Faszinierende Terrarienbewohner - Gliederfüßer im Vormarsch

Dreißigmillionen Spinnen- (Arachnida) und Tracheentierarten (Tracheata) vermuten manche Entomologen (Insektenkundler) noch in den tropischen und subtropischen Regionen unserer Erde. Über 90 v.H. aller Tierarten wären damit Gliederfüßer. All diese noch größtenteils unbekannten Arten zu erforschen, bevor sie unwiederbringlich verschwinden, ist eine der wesentlichen Aufgaben der Zoologie. In den letzten Jahren gelangen viele bisher noch unbekannte Tiere auch in die Zuchten mancher Terrarianer. Vogelspinnen gehören noch zu den häufig in Privathänden anzutreffenden Gliederfüßern. Zu ihnen gesellten sich aber auch rasch Skorpione und immer öfter auch Geißelskorpione (Thelyphonida), Geißelspinnen (Amblypagi) und tropische Kreuzspinnen (Araneidae), z.B. Opuntienspinnen der Gattung Cytrophora und Seidenspinnen (Nephilidae); die größten und oft buntesten Radnetzpinnen überhaupt. Sonderlinge stellen die Walzenspinnen (Solifugae) dar, deren Zucht besonders schwierig ist.

Aber gerade bei den Tracheentieren hat sich viel verändert. Neben Hundert- (Chilonada) und riesigen Schnufüßern (Juliformia) werden vor allem mehr Insekten erfolgreich gehalten und gezüchtet als jemals zuvor: Von den dreiunddreißig Ordnungen werden derzeit Vertreter von neun Ordnungen gezüchtet. Viele Schmetterlinge (Lepidoptera), Käfer (Coleoptera); hier vor allem Schwarz- und Rosen-, Blatthorn- und Nashornkäfer, wenige Lauf- und Rüsselkäfer), Hautflügler (Hymenoptera; Blattschneiderameisen und Grabwespen sind in den Zuchten vertreten), Zweiflügler (Diptera z.B. Drosophila und ihre vielen Mutanten), Wanzen (Heteroptera; vor allem bunte tropische Raubwanzenarten), Heuschrecken (Orthoptera; hier werden sowohl bizarre Höhlengrillen als auch bunte Heuschrecken aller Art gehalten. Fangschnecken (Gottesanbeterinnen; Mantoptera/Mantida), Schaben (Blattoptera) und Stabschrecken sowie "Wandelnde Blätter" (Phasmatoden) werden sehr erfolgreich gezüchtet.

Der letzten Gruppe, der Gespenst- und Stabschrecken (Phasmatodea), möchte ich mich nun zuwenden: Die Phasmiden (wie sie verkürzt auch genannt werden) sind eine außergewöhnliche, formenreiche Insektenordnung, die fast alle und fast ausschließlich tropische und subtropische Regionen bewohnt. Das Verbreitungszentrum stellt aber vor allem Süd- und Südostasien mit der sich anschließenden indonesischen und papuanisch- melanesischen Inselwelt dar.

Alle Phasmiden ahmen in ihren Aussehen Pflanzenteile nach. Dadurch entstanden im Laufe der Evolution im wesentlichen drei typische Erscheinungsformen:

Diese Einleitung spiegelt jedoch keineswegs die tatsächlichen Verwandtschaftsbezüge wieder.
Vielmehr müssen die Phasmiden in zwei Unterordnungen (Areolatae und Anareolatae) eingeteilt werden, die sich unabhängig voneinander vielfach ähnliche Formen, die aber eben nicht näher verwandt sein müssen, hervorgebracht haben. Neben dem Formenreichtum ist diese Gruppe auch durch die enorme Größe vieler ihrer Mitglieder für die Terraristik attraktiv. Die Durchschnittsgröße der Phasmiden liegt bei etwa 8 bis 12 cm, wobei die kleinsten Arten immerhin noch 2 bis 3 cm und die längsten Arten dafür eine Körperlänge über 30cm erreichen (Acrophylla, Archioptera, Phanacia u.a.) Damit zählen die Phasmiden zu den längsten rezenten Insekten überhaupt.

Interessant sind auch die verschiedenen Formen des Sexualmorphismus, der sich meist durch einen enormen Größenunterschied zwischen den vielfach extrem massigen Weibchen und dendagegen zierlichen, schlanken Männchen auszeichnet. Zudem haben viele Phasmiden ihre Flugfähigkeit durch die mitunter gänzliche Reduktion der Flügel eingebüßt, wobei bei vielenGattungen die Männchen sehr wohl noch Flügel besitzen und teilweise im Gegensatz zu den in der Regel ungeflügelten Weibchen auch flugfähig sind.

Nun aber einige Anmerkungen zur Haltung und Zucht: Die Phasmiden können je nachFeuchtigkeitsbedürfnis der betreffenden Art in Glas- (Kunststoff-) terrarien oder inHolzrahmen-Gazebehältern gehalten werden. Ihre meisten Arten lassen sich problemlos bei 25 bis 30º C tagsüber und mindestens 20º Grad C. bei Nacht halten. Eine besondere Beleuchtung ist meist nicht notwendig, normale Leuchtstoffröhren können aber ohne Bedenken verwendet werden.

Eine ausreichend hohe Luftfeuchtigkeit sollte durch eine stets feucht zu haltende Substratschicht (Sand, Erde, Laubstreu, usw. ) gewährleistet werden. Zudem sollten viele Arten regelmäßig (täglich bis wöchentlich, je nach Ursprungsbiotop) mit handwarmen Wasser besprüht werden.

Zum Futter: Alle Phasmiden sind reine Pflanzenfresser. Es eignen sich die Grundfutterpflanzen Rubus (Brom- und Himbeerarten), Eiche und Buche zur Ernährung der meisten Arten, wobei Brombeere meist vollkommen ausreicht. Die Pflanzen werden in einer Vase frisch gehalten und ausgewechselt, wenn sie abgefressen oder vertrocknet sind (es ist anzumerken, daß sich Eiche nur kurze Zeit frisch hält und selbstgezogene Eichpflänzchen wegen des hohen Anteils an Bitter- und Giftstoffen meist verschmäht werden). Es ist natürlich ungeschriebenes Gebot, daß die Futterpflanzen auf umweltschonende Weise und bestandschützend geerntet werden sollen.

Zur Terrariendekoration: Es passen natürlich vor allem Zweige, Äste und Rindenstücke, mit denen man auch Rück- und Seitenwände verkleinern kann. Zierpflanzen ignen sich jedoch meist nicht, da sie angefressen werden können, was mitunter auch für die Insekten schädlich sei kann. Da vor allem Stabschrecken Baum- bzw. Strauchbewohner sind, können hier in größeren Terrarien Bodendecker wie Ficus pumila verwendet werden.

Zur Zucht: Phasmiden legen im Vergleich zu anderen Insekten sehr große, dickschalige und in vielen Fällen bizarr geformte Eier, die entweder einfach fallengelassen, in oder an ein Substrat gedrückt (Boden/Moos) oder geheftet (Rinde) werden. Die Zeitigung der Eier erfolgt von Art zu Art unterschiedlich und muß beim Züchter erfragt werden. Meist werden sie aber einfach in einer kleinen Box auf feuchten Untergrund gelagert. Die Dauer der Embryonalentwicklung ist artspezifisch und kann zwischen zwei Monaten und über einem Jahr liegen. Die schlüpfenden Larven gleichen bereits den adulten Tieren (hemimetabole Metamorphose) und wachsen über meist fünf (Männchen) bzw. sechs (Weibchen) Häutungen zum Vollkerf heran, was artspezifisch zwischen vier Monaten und einem Jahr dauern kann. Die adulten Tiere leben häufig zwischen drei Monaten und einem halben Jahr. Manche Arten können aber auch mehrere Jahre alt werden.

Interessante Arten

Derzeit werden über 150 Phasmidenarten gezüchtet. Viele davon eignen sich auch für Anfänger:

Baculum-Arten

Baculum extradentatum (Annam-Stabschrecke) ist eine etwa 11 cm lange Stabschrecke ausVietnam. Die Färbung der Weibchen ist sehr variabel und reicht von grasgrün über strohgelb bis braun. Beide Geschlechter sind wie bei allen Baculum-Arten vollkommen flügellos.

Baculum-thaii

(Geöhrte Stabschrecke) wird etwa 12 cm lang und stammt aus Thailand. Die Weibchen tragen am Kopf sehr große Aurikel. Die Eier ähneln kleinen Holzsplittern.

Aretaon asperrimus

(Sabah-Gespenstschrecke) ist eine 8 cm. lange robust gebaute dornige Gespenstschrecke aus Nordborneo (Sabah). Verwandte Gattungen sind Heteropterix und Haaniella, die größer aber auch schwieriger zu halten sind.

Extatosoma tiaratum

(Australische Riesengespenstschrecke) kann bis zu 15 cm. lang werden und tarnt sich als ertrocknetes Blatt. Die Männchen dieser Art sind flugfähig.

Eurycantha calcarata

(Riesendornengespenstschrecke) stammt aus Neuguinea. Beide Geschlechter sind sehr massig und die Männchen sehr aggressiv (aber harmlos). Die Weibchen können gut 15 cm lang werden. Die Art ist wie alle ihrer Gattung sehr feuchtigkeitsbedürftig.

Neohirasia meerens

(Stachelige Stabschrecke) kann bis zu 9 cm lang werden und trägt an den Brustsegmenten lange Stachel. Die Art ist sehr fruchtbar, anspruchslos und verfügt über ein übelriechendes Abwehrsekret. Die Art wird erst seit kurzer Zeit gezüchtet und ist deshalb sehr beliebt.

Sypiloidea sypilus

(Geflügelte Stabschrecke) vermehrt sich in den Zuchten rein parthenogenetisch (aus unbefruchteten Eiern schlüpfen immer wieder mit der Mutter erbgleiche Weibchen). Die Art ist etwa 10 cm lang, flugfähig und ahmt einen vertrockneten Grashalm nach.

Carausius-Arten

Carausius morosus (Indische Stabschrecke) ist sicherlich die bekannteste Stabschrecke überhaupt. Sie ist meist grün oder braun und vermehrt sich wie die vorherige Art in den Zuchten rein parthenogenetisch. Andere leicht zu haltende Arten dieses Genus sind C. auriculatus und C. sechellensis. Dieser Gattung nahe steht Lonchodes mit teilweise recht großen und besonderen bizarr aussehenden Arten.

Autor und ©: Sascha Eilmus, Leverkusen